Interview mit Thomas Imbach Warum dieser Film? Warum dieses Bedürfnis, dich ein
zweites Mal mit dem Material von Happiness is a Warm Gun zu beschäftigen? Die Absicht, einen zweiten Film zu machen, ist nicht neu. Bereits
beim Drehen haben wir geplant, den ganzen Prozess der Schauspielerarbeit mit
zu filmen. Damals wusste ich noch nicht, ob daraus ein oder zwei Filme entstehen
würden. Beim Schneiden wurde klar, dass es zwei eigenständige Filme
werden müssen. Zu diesem Zeitpunkt war es mir jedoch zu viel, die beiden
Filme gleichzeitig zu machen, ich wollte zunächst meine ganze Energie auf
Happiness is a Warm Gun konzentrieren. Erst ein halbes Jahr später hatte
ich genug Abstand gewonnen, um happy too anzupacken. Wie stehen Happiness und happy too zueinander? happy too ist wie die andere Seite der Münze. Der erste
Film erfindet einen Tod für Petra, da sieht man die Schauspieler als Figuren
in ihrer Beziehungsgeschichte, als Fiktion. Im zweiten Film sieht man die Schauspieler
bei der Arbeit. Sie mutieren so stark zu den Figuren, dass sie auch als Schauspieler
in diese Dynamik hineingeraten und dabei die gleiche Geschichte authentisch
erleben. Mir war wichtig, diesen Prozess zwischen Schauspieler und Figur zu
zeigen und nicht einfach zu behaupten. Würden Sie happy too als eine Art «making of»
bezeichnen? Der grösste Unterschied zu einem herkömmlichen «making
of» ist: der zweite Film betrachtet die Geschichte aus der gleichen Perspektive
wie der erste, nämlich mit der gleichen Kamera. In einem «making
of» ist die Kamera normalerweise eine aussenstehende, dokumentierende
Figur. Hier war das nicht so. Im ersten Film habe ich mich auf die Fiktion,
auf diese Assoziationskette des Schusses im Moment des Todes konzentriert und
sehr viel vom authentischen Prozess weggelassen. Der zweite Film konzentriert
sich auf diese Momente, die vor oder nach einer Szene stattfinden. Er ist viel
offener, auch weniger ästhetisch konstruiert, weil er die Geschichte von
Petra&Gert bzw. diejenige von Linda&Herbert mit einem sehr reduzierten
Bildmaterial nochmals erzählt, nämlich ausschliesslich mit den Mitteln
der Arbeit den Emotionen der Schauspieler und der Beziehung zwischen,
vor und hinter der Kamera. Insofern ist schon ein «making of»-Anteil
drin, aber eben: wir schauen uns selber zu bei der Arbeit zu. Das war immer
der Deal mit den Schauspielern. Wir haben das Material nicht im Nachhinein entdeckt
und gesagt, «damit könnte man was machen», sondern wir haben
es bewusst aufgenommen und alle haben bei der Arbeit ständig gespürt,
jetzt läuft die Kamera. Die traditionelle Aufteilung in «Fiktion» und
«Dokumentarfilm» haben Sie ja immer in Frage gestellt. Ich denke
beispielsweise an Ihre «Thesen» von 1995, wo es unter anderem heisst:
«Der Spielfilm ist tot, der Dokumentarfilm ist tot, es lebe der Film».
Würden Sie trotzdem sagen, dass Happiness is a Warm Gun Fiktion ist, und
happy too ein Dokumentarfilm? Mir fällt dazu ein anderer Vergleich ein: es ist, wie wenn
man von der gleichen Szene ein Ölbild und ein Aquarell macht. Das Aquarell
zeigt dasselbe Sujet, aber mit einer anderen Geste, anders gewichtet. Beim Ölbild
legt man die ganze Kraft in die Farben, die Inszenierung; es leuchtet, es ist
bombastisch, es ist reich, es ist berauschend... Das Aquarell kommt viel leichter
und bescheidener daher. Es sind einfach zwei verschiedene Versionen einer Geschichte.
Die eine geht stärker in Richtung Spielfilm und die andere stärker
in Richtung Dokumentieren dieses Arbeitsprozesses. Man soll bei einem Stoff
bleiben, so lang er interessant ist, und ihn nicht einfach wegwerfen, weil das
Thema kommerziell gestorben ist. Ist der zweite Film auch eine Art Kommentar auf den ersten? Ich glaube schon, man wird den ersten Film anders verstehen
mit dem zweiten, das ist sicher. Aber das war nicht der Grund, weshalb wir den
zweiten Film gemacht haben. Happiness is a Warm Gun war für mich eine Weiterentwicklung
der filmischen Mittel, die ich vor allem in Well Done und Ghetto angewendet
habe, das heisst, eine Weiterentwicklung mit Schauspielern. Ich hatte gemerkt,
dass ich bei den Filmen mit Laiendarstellern der bessere Regisseur bin, wenn
ich nichts mache hinter der Kamera, sondern auf Geschenke warte.
Doch ich hatte ein Bedürfnis, den Dialog zwischen dem, was vor und hinter
der Kamera passiert, zu intensivieren, und das ist nur mit Schauspielern möglich.
Meine Arbeitsmethode mit Schauspielern musste ich deshalb zuerst entwickeln.
Und ich war überrascht, wie sie sich von dieser Geschichte infiszieren
liessen. Das sieht man schon im ersten Film, aber hier sieht man es auf eine
ganz ungeschminkte und direkte Weise. Ich glaube, es ist aufschlussreich und
aufregend mitzuverfolgen, wie so etwas passiert. Was ist gespielt, was ist nicht
gespielt? Wo verläuft die Grenzlinie? Das ist eine spannende Gratwanderung,
und es hat uns Spass gemacht, den Prozess auf diese direkte Art zu beobachten. Wo bleibt Ihre Rolle als Regisseur bei dieser Beobachtung?
Auch in happy too sind Sie meistens unsichtbar. Ich erzähle indirekt von mir: Einerseits über die
Schauspieler, wenn sie auf mich reagieren oder über meine Bemerkungen aus
dem Off. Und andererseits über die Erzählweise und über die Titel.
Jürg Hassler erzählt sich über die Kameraführung, die Kamera
ist auch eine Figur, die auf das Geschehen reagiert. Ich trete zwar selten als
sichtbare Figur auf, aber es ist spürbar, dass da einer ist, der das ganze
Unternehmen motiviert, steuert und Gesprächspartner für die Schauspieler
und für den Kameramann ist. Nach welchen Kriterien haben Sie die Szenen für happy
too ausgewählt? Es ging immer um Szenen, in denen man etwas darüber erfährt
was die Schauspieler mit ihren Figuren anstellen, und wie sich das Petra&Gert-Universum
bei ihnen einnistet. Es sind die Szenen, in denen diese Wechselwirkung am deutlichsten
zum Ausdruck kommt und in denen es immer grundsätzlich um ihr Spiel geht
und nicht um irgendwelche Stilmittel oder Inszenierungsdetails. Bei Happiness war das Ende vorgegeben: der Film musste mit
dem Schuss enden. Wo musste happy too enden? Es gibt zwei Enden. Ein Ende ist, dass auch die Beziehung zwischen Herbert und Linda an einen Punkt gelangt, wo er ihr einen Schuss in den Kopf knallen möchte, dass beide so weit sind, dass es für sie echt wird. Das ist das Ende der Geschichte dieser Beziehung. Das zweite Ende ist ein Schritt zurück, eine Reflexion über das Spielen, wenn Linda von ihrem Spiel sagt, dass sie bei sich die Zartheit von Petra vermisst. Der eine Schluss bezieht sich auf den Inhalt, die Geschichte, und der zweite bezieht sich auf die Arbeit, auf unsere Methode. happy too ist kein Film über Petra Kelly, sondern eigentlich ein Schauspieler-Film. Interview: Marcy Goldberg
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